#Gettoknowus – Alice im Land der historischen Darstellung

Vorweg möchte ich auf Folgendes hinweisen: Ich verurteile niemanden für die Art, sein Hobby auszuführen. Historische Darstellung hat ebenso seine Berechtigung, wie ambientiges Lagern auf Märkten – jeder soll es nach seinem Gusto ausleben. Mit meinen Ausführungen möchte ich niemandem auf die Füße treten und ganz bestimmt nicht die vielen lieben Leute schlechtreden, die ich in den letzten Jahren kennengelernt habe. Es geht hierbei rein um meine Motivation zur historisch fundierten Darstellung.

Irritiert starre ich auf den Bildschirm. Laura und ich suchen gerade Bilder für den Throwback-Thursday und stolpern dabei immer wieder über amüsante Marktsünden unserer Mittelaltervergangenheit. Doch dieses Foto mutet sich wie ein Suchbild an: Finde einen mittelalterlichen Gegenstand.

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Es handelt sich um eine Fotografie von 2012, MPS in Wassenberg, der erste „Mittelaltermarkt“, den ich jemals besucht habe. Darauf zu sehen: Geschirr von Ikea, Thermoskannen, Baumwollzelte und -kleider zu Springerstiefeln, Piratenkopftücher, Bierbänke. Warum habe ich damals nicht gesehen, dass das was wir dort taten nichts mit Mittelalter zu tun hatte? Warum habe ich den zahllosen Stimmen geglaubt, die mir versicherten, dass alle A-Päpste gemeine, spaßlose Kinderfresser sind? Warum habe ich Geld für Kleidung ausgegeben, von der ich doch schon früh ahnte, dass sie der Fantasie moderner Designer entsprungen waren? Warum, warum warum… Ich gerate ins Grübeln.

Mein Weg vom Gromi zum A-Papst ist von zwei Aspekten besonders geprägt worden: Zum einen mein Geschichtsstudium, zum anderen meine Schwester Laura.

Das Studium begann ich 2011, ganz zufällig, weil ich eben einen Studienplatz erhielt und nichts besseres mit mir anzufangen wusste. Durch die Jahre lernte ich mein Handwerk, eine gesunde Mischung aus Quellensuche und -kritik, der Anfertigung wissenschaftlicher Arbeiten, der Versuch, sich in Gedankenwelten vergangener Generationen zu versetzen und daraus Ereignisse der Vergangenheit zu rekonstruieren. Ich bin dem stets mit Leidenschaft nachgegangen und merkte bald, dass ich mit meiner Studienwahl das richtige Fach getroffen hatte.

Auf der anderen Seite stand mein Hobby. Mittelaltermärkte, die mit Mittelalter eigentlich so gar nichts zu tun hatten, keine Berührung mit Vergangenem, Halbwahrheiten, die unreflektiert wiedergegeben wurden (Schwerter waren nicht scharf! Alle Menschen sind mit 30 gestorben! Als es noch keine Tabak gab, hat man einfach Küchenkräuter geraucht!). Ich fühlte mich mit den vielen netten Leuten um mich herum so wohl, dass sich das Hobby Mittelalter und das Studium Geschichte zu zwei voneinander getrennten Denkwelten entwickelten, die ich nicht miteinander in Verbindung brachte. Doch dann brach das Jahr 2014 an.

Eigentlich begann alles ganz harmlos. „Ich habe mir ein Kochbuch über das Mittelalter gekauft. Sollen wir vielleicht mal etwas daraus kochen?“, fragte Laura und ich habe noch genau vor Augen, wie sie dabei aussah. Im Nachhinein denke ich, dass das der erste Moment war, in dem die Begeisterung für die historische Darstellung bei uns Einzug hielt. Von diesem Zeitpunkt an gab es kein Halten mehr. Einer unaufhaltsamen Lawine gleich kamen wir immer wieder in Berührung mit der tatsächlichen Materie Mittelalter: Ein aufmerksamer Museumsbesuch hier, ein bisschen googlen dort, ein paar Bücher zur Materie, dann die Anleitung zum Nähen eines Kleides auf Tempora Nostra. Diskussionen über historische Darstellungen auf Facebook waren plötzlich keine „bösen meckernden A-Papst-Belehrungen“, sondern gebrauchsfertige Anleitungen. Oberbekleidung aus Leinen anstatt aus Wolle? Braune Schuhe von Deichmann sind kein Ersatz für richtige wendegenähte Schuhe? Polyborte ist ein No-Go? Alles ärgerliche Fehler, die wir begangen hatten, doch uns wurde gezeigt, wie es richtig geht. Warum also nicht die Tips annehmen?

Und dann wendete sich auch das Blatt für mich persönlich. Studium und Hobby, das ließ sich plötzlich vereinbaren. Nein, besser noch – es half mir, es half unserer Gruppe, grundlegende Dinge zu verstehen, Ereignisse nachvollziehen und daraus eigene Theorien zu ungelösten Fragen über mittelalterliche Lebensweisen und Kleidung aufzustellen.

Als wir dann im Sommer 2016 unsere Facebookseite und unseren Blog starteten, war ich nervös. Jahrelang hatten wir gearbeitet, und entwickelt, viele Dinge mit Mühe und Liebe erarbeitet. Was, wenn es nicht genug war? Was, wenn wir immer noch zu viele Fehler machten? Was, wenn…

Ein Wort an alle, die sich jetzt zufrieden denken: „Man kann ja gar nicht alles richtig machen. Schau, die A-Päpste da sind auch nicht perfekt.“

Nein, wir sind nicht perfekt. Wie machen Fehler. Doch wir lernen daraus und wir bauen unsere Darstellung immer weiter aus. Wenn ich zurückblicke auf das, was wir bis jetzt geschafft haben, dann kann ich nur leicht pathetisch in die Zukunft blicken und mich auf das freuen, was noch kommen wird. (Schaut euch unseren Jahresrückblick doch selber an. Einfach hier klicken) Wir sind moderne Menschen, das heißt wir können Geschichte nicht rekonstruieren. Wir können nur ein Bild dessen konstruieren, das so nah wie möglich an Vergangenes heranreicht.

Denkt immer dran: Eine historische Darstellung ist kein Hexenwerk und wenn ihr – so wie wir vor einigen Jahren – jetzt denkt „Das schaffe ich doch nie“. Doch, ihr schafft es. Ich müsst euch nur den Spaß daran bewahren.

– Ann

 

Bildnachweis: Pontifical of Guillaume Durand, Avignon um 1360. Quelle: discardingimages.tumblr.com

2 Gedanken zu “#Gettoknowus – Alice im Land der historischen Darstellung

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