Einstieg leicht gemacht – Teil 2: Wo fange ich an?

Vor einiger Zeit haben wir mit dieser Reihe begonnen, um Interessierten den Einstieg in die historische Darstellung zu erleichtern, bzw. unsere Sicht darzustellen – von Einsteiger zu Einsteiger sozusagen.

Oft wird den historischen Darstellern (manchmal auch abfällig als „A-Päpste“ oder „Spaßverderber“ bezeichnet) vorgeworfen, Neulingen den Einstieg schwer zu machen. Dem müssen wir absolut widersprechen, denn wir haben Hilfe und Unterstützung von vielen lieben Menschen erhalten und müssen zugeben, dass wir von der intensiven Recherche, die andere bereits vor uns betrieben haben absolut profitieren konnten. Wir möchten euch in dieser Reihe aber beweisen, welche Missverständnisse Einsteigern häufig im Weg stehen und mit ihnen ein für alle Mal aufräumen.

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Teil 2: Wo fange ich an?

(Disclaimer: Dieser Artikel spiegelt nur unsere Meinung und Erfahrungen wieder. Sicher gibt es auch Darsteller, die es auf andere Art und Weise machen. Dies ist nicht der richtige, oder einzige Weg, sondern nur ein Weg. 🙂 )

Viele Einsteiger werden von der historischen Darstellung abgeschreckt, da sie sich von den Anforderungen, die erfahrene Darsteller haben, abhalten lassen. Man will doch einfach nur wissen, was ein Bauer im 13. Jahrhundert anhatte oder ob die Kettenhaube am Ringpanzer befestigt ist oder separat getragen wird.

Doch dann wird man mit Fragen nach dem genauen Jahrzehnt, der Region, dem Stand und so weiter bombardiert. Naja, Stand: Ritter eben. Ort: Deutschland. Jahr? Mitte 13. vielleicht? Ist doch egal, so unterschiedlich wird das schon nicht gewesen sein. Und überhaupt, es laufen doch genug Leute auf diversen Veranstaltungen rum, einer wird das doch mal jetzt sagen können.

Die Antwort ist leider: Nein, kann man nicht. Die Mode und Wehrtechnik des Mittelalters ist eine komplexe Angelegenheit und es gibt viele regionale Abweichungen und Modeströmungen. Zugegeben, für Deutschland im 13. Jahrhundert sind die Unterschiede nicht so drastisch, wie zum Beispiel im 15. Jahrhundert. Dennoch sollte man sich unbedingt auf eine Zeit und Region festlegen von der man seine Recherche aus startet. Das spart einem später viel Frust und Mehrarbeit. Eine Empfehlung von uns (auch für die Lesefaulen): Einen Einstieg in das Thema „Mode im Mittelalter“ bietet das Hörbuch „Mode im Mittelalter“ von Jan Keupp. Hier gibt es keine konkreten Anleitungen und es wird auch nicht auf regionale Besonderheiten eingegangen. Vielmehr wird ein grundsätzliches Verständnis für die Entwicklung und Bedeutung der Mode geschaffen und dem Hörer wird anhand von zahlreichen Beispielen ein guter Überblick gewährt.

Doch gehen wir nochmal einen Schritt zurück. Natürlich steht für jeden am Anfang einer Darstellung die Kleidung, denn sie ist das Erste, das Offensichtlichste, was man wahrnimmt. Und wir finden es auch sinnvoll, mit der Kleidung zu beginnen. Allerdings sollte man sich, bevor man sich aufs Anfertigen stürzt, erst einmal grundlegend mit der gewünschten Zeit beschäftigen.

Denn um die Mode zu verstehen hilft es, die Denkweise und Lebensrealität der Menschen zu begreifen. Dazu muss man jetzt keine riesigen Anthropologie- und Soziologie-Wälzer lesen. Aber ein oder zwei Bücher, die das Alltagsleben und und die mittelalterliche Denkweise behandeln, fördern das Verständnis von gewissen Dingen, die eben von der heutigen Norm abweichen. Ein Beispiel hierfür ist die Verhüllung des weiblichen Hauptes. Der Einfluss aus dem christlichen Glauben und die dadurch bedingten gesellschaftlichen Normen machten es beispielsweise unvorstellbar, dass Frauen mit offenem und/oder unbedecktem Haar das Haus verließen. Eine Vorstellung, die AnfängerInnen gar nicht in den Sinn kommt (uns eingeschlossen), denn heutzutage ist es absolut unüblich sein Haar zu verhüllen. (Kleine Anekdote am Rande: Wir wurden auf einer Veranstaltung tatsächlich schonmal gefragt, ob wir Muslima wären, oder ob der Schleier zu unserem Kostüm dazugehört.)

So fällt es einem leichter, sich in die damalige Vorstellung von Mode hineinzuversetzen und sich von heutigen Normen und Schönheitsidealen zu lösen.

Nun gilt es, sich eine Zeit auszusuchen. Ab dem Hochmittelalter sollte man seinen Zeitraum auf maximal 20 Jahre beschränken, ab dem Spätmittelalter maximal auf zehn gegebenenfalls sogar auf fünf. Eine Faustregel dafür ist auch: Je später, desto enger gefasst sollte der Zeitraum sein. Manchmal macht es auch Sinn, sich die Zeit nach Fundlage auszusuchen. Strebt man beispielsweise ursprünglich eine Darstellung für die Jahre 1310-1320 an, es gibt aber einen regionalen Fund der auf die 1340er Jahre datiert, macht es gegebenfalls Sinn, seinen Darstellungszeitraum um 20 Jahre zu verschieben. Hier sollte man vorher abwägen und sich nicht zu früh festnageln. (Beispiel: Ursprünglich strebten wir einmal eine Darstellung um 1220 an, haben uns aber aufgrund der (für uns) besseren Quellenlage nach und nach für die 1290er entschieden)

Parallel zur Zeit, sollte man sich auf eine Region eingrenzen. Sinn macht es hier oftmals, seine Heimatregion, bzw. die Region in der man lebt auszuwählen. Das ist kein Muss, für den Einstieg aber häufig leichter. Allerdings sollte man sich dabei nicht zu sehr auf seinen Heimatort beschränken. Lebt man in Posemuckel, wo es absolut keine archäologischen Funde und/oder Primärquellen zu besichtigen gibt, 100 Kilometer weiter aber eine große Stadt mit guter Quellenlage zu finden ist, ist es sinnvoller und auch einfacher, sich in Richtung der Quellen zu orientieren

Viele Abbildungen gibt es Online, Bücher kann man entweder kaufen, oder über die Fernleihe erhalten. (Achtung: Seiten von Darstellern oder fantastisch anmutenden „Ritter“gruppen sind keine Quellen. Abgesehen davon, dass auf solchen Seiten oftmals Wunschwahrheiten verbreitet werden, sind auch Quelleninterpretationrn von guten Darstellern eben das: Interpretationen. Und diese können im Zweifelsfall auch falsch oder fehlerhaft sein). Wovon man aber absehen sollte, sind spezialisierte Darstellung im Ausland, insbesondere wenn man die Sprache nicht spricht. So ist eine Darstellung im englischen Raum vermutlich für die meisten von uns noch realisierbar. Möchte man aber einen portugiesischen Fernhändler im 14. Jahrhundert darstellen, könnte es schon sein, dass es schwierig wird in Deutschland Publikationen zum Thema zu finden. Vielleicht findet man Literatur auf Portugiesisch, allerdings muss man dann eben die Sprache beherrschen.

Hat man diese Schritte durchlaufen, ist man schon ein gutes Stück näher an seine Darstellung herangerückt und kann gegebenenfalls mit dem Nähen der Kleidung beginnen.

Unser Rat, wir haben es schon im ersten Beitrag gesagt und wir möchten es gerne nochmal wiederholen, ist: Fangt einfach an! Strebt nicht gleich Hochadel, einen Ritter, einen reichen Kaufmann an. Sollte eure Wunschdarstellung ein Adeliger ein, fangt beispielsweise beim einfachen, stätdischen Bürgertum an (z.B. Handwerker). Würdet ihr gerne irgendwann eine militärische Darstellung anstreben, macht erstmal einen einfachen Kriegsknecht. Hat man erst einmal mehr Erfahrung, kann man seine Darstellung immer weiter „aufrüsten“. Wir wollen aber absolut davon abraten, am Anfang jede Menge Geld für teure Sachen auszugeben, um dann in ein bis zwei Jahren festzustellen, dass das ja eigentlich gar nicht mal so toll war, was man sich da gekauft hat (Und wir sagen das hier allgemein, aber diese Aussage ist eindeutig auf uns bezogen – wir haben wirklich viel zu viel Geld für vermeintliche „Adelskleidung“ und „Mittelaltergeschirr“ ausgegeben, nur um ein halbes Jahr später zu merken, dass es totaler Mumpitz war, den wir uns da angeschafft haben.)

Gut Ding will Weile haben, und ihr werdet am Anfang sicher auch mal Fehler machen. Und es wäre doch schade, sich gleich einen Seidenstoff für 80€/Meter zu versauen, weil man einen falschen Zuschnitt gewählt hat.

Aber lasst euch davon nicht entmutigen. Die Freude an der historischen Darstellung kommt durch konstante Recherche und ständigen Ausbau der Darstellung. Selbst Darsteller die 15 Jahre Erfahrung haben werden niemals ruhen und ihre laufenden Projekte auf dem aktuellen Stand halten.

Zum Abschluss noch eine Empfehlung für Literatur bzw. Internetseiten für den Einstieg:

  • Alltagsleben im Mittelalter. Otto Borst, Insel Verlag, 1983

Gibt einen guten Überblick über die Lebensrealitäten im Mittelalter. Hilft das mittelalterliche Weltbild zu verstehen.

  • Stadtluft, Hirsebrei und Bettelmönch – Die Stadt um 1300. Marianne Flüeler, Schweizerisches Landesmuseum, 1993

Zeigt auf eindrucksvolle Weise die Lebenssituation im ausgehenden Hochmittelalter. Viele Fotos von Funden. Teilweise sehr detailliert und spezialisiert, dennoch interessant um die Lebensrealität zu begreifen.

  • Kleidung im Mittelalter. Katrin Kania, Böhlau Verlag, 2010

Preislich nicht ganz günstig, aber inhaltlich sehr zu empfehlen. Gibt detaillierte Anleitungen zu Materialien, Naht- und Schnitttechnik und erklärt, wie man selber Schnittmuster erstellt.

  • Medieval Taylor’s Assistant – Making common garments 1200-1500. Sarah Thursfield, Crowood Press, 2015

Gut, um am Anfang einen Überblick über verschiedene Kleidungsstücke und Nähtechniken zu bekommen. Die gezeigten Schnittmuster halten wir nicht immer für empfehlenswert. Lieber mit Vorsicht genießen.

  • Online Recherche – Ein tolles Videotutorial über die Quellensuche im Netz von den Mädels der Wienische Hantwërcliute 1350.
  • Präsentation von Daniel Severin von der Comthurey Alpinum mit Tipps und Tricks für den Einstieg in die historische Darstellung. Kann man prima als „Merkzettel“ für die richtige Vorgehensweise verwenden.

Weiter zu Teil 3.

 

Laura & Ann

 

Bildnachweis: Evangelist Matthäus, Ada-Handschrift, Aachen um 800