Durften Bauern Kleider aus Seide tragen und ein Schwert führen?
Bauern im Mittelalter waren arm, unterdrückt und rechtlos. Sie hausten in kärglichen Hütten, mussten tagein tagaus bis zur Erschöpfung schuften und schafften es – aufgrund der drückenden Abgabenlast – meist gerade so ihr Überleben zu sichern. Sie hatten kaum Freizeit, und wenn, dann nur im in die Kirche zu gehen und dort von den Geistlichen weiter gegeißelt zu werden. Menschen in grauen und braunen Lumpen, schleppen sich verdreckt dahin, sind oftmals krank, und froh, wenn sie gerade noch ein paar Zähne im Mund haben. So, oder so ähnlich ist das populäre Bild der Bauern im Mittelalter, das uns gerne in Film und Fernsehen übermittelt wird.
Doch wie war es wirklich?
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Über die Heterogenität der mittelalterlichen Landbevölkerung haben wir in diesem Artikel bereits umfassend aufgeklärt. Wir haben dort festgestellt, dass keineswegs alle Menschen die auf dem Land lebten Bauern waren. Doch in diesem Artikel wollen wir speziell auf die Situation der Bauern, also derer, die wirklich ihren Lebensunterhalt mit der Landwirtschaft verdienten, eingehen.
Wie wir bereits wissen, gab es viele Unterschiede in der mittelalterlichen Landbevölkerung. Aber diese Unterschiede beziehen sich nicht nur auf den ausgeübten Beruf, sondern auch auf den Wohlstand der einzelnen Personen.
Gerade im 13. Jahrhundert kristallisierte sich unter den Bauern eine Art „Oberschicht“ heraus, die zu beträchtlichem Wohlstand gelangt war. Dies lässt sich einerseits an „Funden“ von hochmittelalterlichen Gehöften und der Größe und Anzahl der Gebäude nachweisen, aber auch anhand von vielen erhaltenen schriftlichen Quellen.
Gemütliche Stube oder karge Hütte?
Es lässt sich herausstellen, dass auch die Landbevölkerung von technischen Neuerungen und damit komfortableren Lebensverhältnissen enorm profitierte. Die Architektur der Bauernhäuser wandelte sich zunehmend von einer Holzbauweisen mit Flechtwerksbeständen und einem Hauptraum hin zu Häusern mit Steinmauern mit großzügigerer Raumaufteilung. Dies zeigen zum Beispiel Grabungen eines Waldhufendorfes im südlichen Mähren (ausgehendes 13. Jahrhundert). Die Mehrzahl der Gebäude besaß Steinmauern, die den Innenraum umgaben welcher zwei-oder dreiteilig aufgebaut war. In der Mitte der Räume war ein Flur angeordnet von dem Kammern und Stuben zugänglich waren. Um das beschriebene Hofhaus gruppierten sich dann die einzelnen Wirtschaftsgebäude des Hofes sowie die Wohngebäude der Knechte und sonstigen Arbeitskräfte. Diese Struktur beinhalteten Bauernhöfe bis in das 20. Jahrhundert hinein.
Hervorzuheben ist, dass die Inneneinrichtung des Bauernhauses im Hochmittelalter zunehmend komfortabler wurde. Hierzu zählt beispielsweise der Einbau von an der Stube anliegenden Heizöfen (Hinterlader-Ofen), der geheizte Räume ohne Rauchbelästigung ermöglichte im Gegensatz zu vorherigen Herden und Kochöfen. Insbesondere die Stube galt als wichtigster Raum des Bauernhauses, da er nicht nur Wärme und Behaglichkeit in den Wintermonaten bot, sondern auch Ort des geselligen Miteinanders war. Zu Festtagen wurde in den Stuben getanzt und gefeiert – dem Dichter Neidhardt von Reuenthal erschien die Bauernstube als der Ersatz zum sommerlichen Aufenthalt unter den Lindenbäumen für festliche Anlässe im Winter. Gemäß der Heterogenität der Bauernbevölkerung war auch die Stube natürlich in Größe und Weite von der finanziellen Situation des Bauern abhängig. Sie stellte im Gegensatz zu Stuben auf den Burgen, die lediglich ein Rückzugsort vor der Kälte für die Burgbewohner war, einen Repräsentationsraum des jeweiligen Bauern und seines Lebensstandards dar. Die bäuerliche Stube kann also eher in dieser Repräsentationsfunktion mit den von Kaminen befeuerten Saal, dem Palas und der Kemenate einer Burg verglichen werden.
Je nach Vermögen des jeweiligen Bauern war dieser bemüht seine Innenräume mit handwerklich besser gearbeiteten Gegenständen und Möbeln auszustatten. Hauptmöbel waren Schemel, Tische und Bänke sowie Truhen und Kisten. Insbesondere der große Stubentisch an dem die gesamte Bauernfamilie Platz fand ist hier hervorzuheben. Da die Heizöfen zunehmend rauchfreie Innenräume ermöglichten war es nun auch möglich kostbar bemalte Holzmöbel zu nutzen, die nun nicht mehr verrußt werden konnten. Die Innenräume der ärmeren Bauern waren dementsprechend spärlich eingerichtet und auf Zweckmäßigkeit ausgelegt. Beispielsweise wurden die Handwerkszeuge direkt an den Wänden befestigt und die Holzmöbel waren unfeiner gearbeitet und in Anzahl und Größe geringer.
Bauern in Samt und Seide?
Doch machen sich die Vermögensunterschiede der Bauern nicht nur in der Architektur ihrer Häuser und deren Ausstattung sondern auch in der Kleidung bemerkbar. So spottet Neidhardt von Reuenthal im frühen 13. Jahrhundert über die Putzsucht der Bauern: „Gern sollt ihr hören wie die Dörfler gekleidet sind: Üppig ist ihr Gewand, enge Röcke tragen sie und enge Überkleider, rote Hüte, schnallenverzierte Schuhe, schwarze Hosen.“ Und auch Seifried Helbling beschwert sich: „Alles was der Ritter gerne trägt […] das trägt der Bauer ebenso. […] Die (Bauersfrau) trägt nun grünes, braunes oder rotes Tuch aus Gent. Damit verschwendet sie das Vermögen des Landes.“
Insbesondere die Festtagskleidung der bäuerlichen Oberschicht zeigt zunehmend deren Wunsch nach offensichtlicher Abgrenzung zu den unteren Tagelöhnern, Kleinstelleninhabern und ärmeren Dorfbauen, Aufwendigere Verzierung der Kleidung, feinere Tuche und farbigere Kleidung wurden zunehmend getragen. Dies beschreibt Neidhardt die Kleidung der Dörfler im Weiteren sehr genau:
So tragen viele Bauern nun Oberröcke, die am Halsteil mit zwei Reihen hellglänzender Knöpfe besetzt sind und durch kostbare Gürtel zusammengehalten werden. Bäuerinnen lassen bei festlichen Anlässen das gelockte Haar herunterfallen und schmücken es mit kostbaren Spangen oder einem Kranz von Rosen und Blumen im Sommer. Zu anderen Jahreszeiten bedecken sie ihre Häupter mit seidenen Schleiern oder Häubchen die von bunten Rändern umgeben waren. Sie schnürren ihre Röcke enger und versehen sie manchmal mit langen Schleppen. Ihre Gürtel waren schmal und mit Perlen und Kupferplättchen verziert.
Zudem schildert Wernher der Gartenaere die Kleidung reicher Bauernsöhne am Beispiel des Meier Helmbrecht in der Mitte des 13. Jahrhunderts: Diese trug einen Rock erlesenster Wollqualität, ein buntes Oberkleid aus feinstem Tuch und eine kostbare Haube mit gestickten Bildern.
Doch weder Neidhardt noch andere seiner Zeitgenossen billigen das verschwenderische Verhalten der Bauern. Denn mit ihrer Prunksucht weichen sie ihrer Meinung nach die Standesgrenzen auf. „Bauer Ritter und Dienstleute tragen alle das gleiche Kleid“, beschwert sich Sieifried Helbling. Und Neidhardt wünscht sich, dass dem Bauern Gätzemann und seinen Begleitern das Haar abgeschnitten werden soll, und dass man ihnen Kleider geben soll, die nach „alter Sitte“ gefertigt wurden.
Diese Problematik wurde bald auch schon von der Obrigkeit bemerkt und sollte reguliert werden. „Der König von Frankreich verfügte in seinem ganzen Reich, dass keiner der Bauern, wie er auch sei, Ritterkleider gebrauchen dürfe.“, besagen die Kolmarer Annalen im Jahr 1279. Und auch in Deutschland gab es erste Versuche, die Prunksucht der Bauern einzuschränken. Der populärste ist wohl der bayrische Landfrieden von 1244, welcher den Bauern – vermutlich ganz nach Neidhards Geschmack – vorschreiben will, sich die Locken über den Ohren abzuschneiden und nur zu Feiertagen gefärbtes Tuch zu tragen. Weiterhin sollen die Bäuerinnen keine seidenen Besätze mehr tragen, und der Bauer soll zum Kirchgang nicht mit Schwert und in Rüstung erscheinen.
All diese Vorschriften sind aber eine Reaktion auf bereits herrschende Verhältnisse und keine Vorbeugungsmaßnahme. Sie sind also keinesfalls ein Beweis dafür, dass die Obrigkeit die Bauern unterdrückte, sondern lediglich versuchten, das Verhalten der Dörfler einzudämmen.
Schließlich sind auch die Strafen für die übertretenen Kleiderordnungen nicht besonders drakonisch: Laut dem bayerischen Landfrieden soll den Bauern die unpassende Kleidung abgenommen werden, und erst gegen ein Bußgeld wieder ausgehändigt werden. Inwiefern, dass einen reichen Bauern traf, bleibt allerdings offen. Anzunehmen ist, dass nicht wenige das Bußgeld zahlten, um ihrer Kleidung wieder habhaft zu werden.
Der Bauer und sein Schwert
In all diesen Regelungen wird nebenbei noch ein weiterer, kleiner Mythos aufgeklärt, nämlich der, dass nur Ritter Waffen oder gar Schwerter trugen durften. Denn der bayrische Landfrieden geht auch auf die Schwerter und Rüstungen der Bauern ein. Doch warum besaßen die Bauern solche Gegenstände überhaupt?
Das ist recht einfach zu erklären: War ein Bauer frei (also nicht hörig oder leibeigen), und besaß eigenen Grundbesitz so war er dem Reich zum Kriegsdienst verpflichtet. Freie Bauern ohne Grundbesitz (z.B. Pächter) waren ihrem jeweiligen Landesherrn zum Kriegsdienst verpflichtet. Je nach Größe seines Gehöftes musste er auch einen oder mehrere seiner Knechte für den Kriegsfall ausstatten. Da wir hier von reichen Bauern sprechen, ist davon auszugehen, dass sie sich für diesen Fall selbstverständlich auch eine gute Rüstung und sonstiges Kriegsgerät anschafften, schließlich hing von diesen im Fall eines Kampfes ihr Leben ab. Da ist es natürlich naheliegend, dass sich so ein Bauer auch ein Schwert zulegt. Und wie die Gesetze beweisen, war er dazu auch durchaus berechtigt.
Natürlich heißt das nicht, dass alle Bauern sich oben genannte Dinge leisten konnten. Es gab auch einfache und arme Bauern, ebenso wie Tagelöhner, Kätner oder andere Menschen, die keinen Grundbesitz oder eine Pacht besaßen. Dennoch scheint es so, dass sich eine ausreichende Menge an Bauern einen gewissen Luxus leisten konnten, der die Standesgrenzen verschwimmen ließ. Anders ist nämlich das Einschreiten der Gesetzgeber bzw. die heftige Reaktion der Dichter und Chronisten nicht zu erklären.
Wir sehen also, dass ein Bauer nicht automatisch ein in Lumpen gekleidetes, dreckiges und unterdrücktes Häufchen Elend war. Einige Bauern waren durchaus in der Lage, sich ein schönes Haus, luxuriöse Kleidung aus Seide und teure Rüstungen anzuschaffen.
Literaturempfehlungen:
Werner Rösner, Bauern im Mittelalter, C.H. Beck Verlag, 2985
Jan Keupp, Die Wahl des Gewandes, Thorbecke Verlag, 2010
Otto Borst, Alltagsleben im Mittelalter. , Insel Verlag, 1983
2 Gedanken zu “Mythbusters: Von Bauern, Seide und Schwertern – die finanzielle Situation der Landbevölkerung im 13. Jahrhundert”
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