Ich hab‘ den Dreh raus – Über das mittelalterliche Spinnen

Als ich vor circa zwei Jahren die Idee bekam eine historische Darstellung aufzubauen, wollte ich mir natürlich auch ein Handwerk aussuchen, das ich vor Besuchern zeigen kann. Da ich schon häufig andere Spinnerinnen gesehen hatte, kam ich auf die Idee, dies auch einmal zu versuchen.

Leider hatte ich zu Beginn keine Ahnung, dass es einen Unterschied zwischen dem historischen und dem modernen Spinnen gibt und so dauerte es eine ganze Weile, bis ich endlich raushatte, wie das mit dem historischen Spinnen eigentlich funktioniert.

In diesem Blogpost möchte ich Hintergründe erläutern und eine kurze (theoretische) Anleitung zum Wolle spinnen geben.

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Garn oder Strickwolle selbst zu Spinnen ist auch in der modernen Handarbeitsszene ein beliebter Zeitvertreib. Auch heute noch wird gerne und viel gesponnen, es gibt diverse Youtube-Kanäle, Foren und Facebookgruppen in denen sich die Spinnerinnen austauschen. Egal ob mit dem Spinnrad oder der Handspindel, selber Spinnen ist und bleibt populär.

Doch nicht alle heutigen Spinntechniken wurde auch schon im Mittelalter angewendet.

Kurze Geschichte des Spinnens

Gesponnen wird schon seit tausenden von Jahren. Erste Hinweise auf versponnene Fasern finden sich bereits im Neolithikum, erste Funde von Spinnwirteln gibt es ab 6000 v. Chr.

Von der Jungsteinzeit bis ins hohe Mittelalter wurde ausschließlich mit der Handspindel gesponnen. Spinnräder gab es erst ab dem 13. Jahrhundert, allerdings zunächst in Form von sogenanten handbetriebenen Spindelrädern. Diese hatten noch keinen Fußtritt und wurden mit einer Hand gedreht, während die andere Hand die Fasern auszog. Die Spindelräder setzten sich aber erst zum Ende des Mittelalters bei den Spinnerinnen durch.

Fußbetriebene Spinnräder kommen in der Mitte des 17. Jahrhunderts auf. In der Mitte des 18 Jahrhunderts – zum Höhepunkt der industriellen Revolution – wurden zum ersten Mal industrielle Spinnmaschinen eingesetzt. Ein populäres Beispiel ist wohl die „Spinning Jenny“ eine der ersten Spinnmaschinen.

Dennoch wurde auch weiterhin mit der Hand gesponnen und das Wissen über die Spinntechniken ging nicht verloren, entwickelte sich aber weiter.

Modernes Spinnen vs. mittelalterliches Spinnen

Zwischen modernem Spinnen mit der Handspindel und der mittelalterlichen Variante bestehen viele Unterschiede.

Erst einmal die Spindeln an sich: Moderne Spindeln sind meist ein fest montierter Spindelstab, das heißt Stab und Wirtel sind i.d.R. miteinander verklebt. Häufig sind Wirtel und Stab aus Holz, damit die Spindel stabil ist und der Wirtel beim runterfallen nicht zerbrechen kann. Außerdem ist der Moderne Spindelstab in der Regel „gerade“ und verjüngt sich nur nach unten hin zur Spitze. Oben wird oft ein kleines Häkchen in den Stab hineinheschraubt, durch welches der Faden läuft.

Die mittelalterlichen Spindelstäbe und Wirteln sind nicht fest miteinander verbunden. Der Wirtel wird für gewöhnlich einfach auf den Stab aufgesteckt. Dies hat den Vorteil, dass man mit zunehmender Garnmenge auf der Spindel das Gewicht durch einen kleineren Wirtel reduzieren kann bzw. bei einer recht vollen Spindel einfach ohne zusätzliches Gewicht weiterspinnen kann. Die Wirtel sind meist aus Ton, es gibt aber auch Varianten aus Stein, Glas oder Speckstein. Im 13. Jahrhundert taucht die Tonvariante im Fundgut am häufigsten auf. Der Spindelstab ist nicht gerade sondern verläuft konisch.

 

Ein weiterer Unterschied ist die Wickeltechnik, also die Art und Weise wie das Garn auf der Spindel aufgewickelt wird.

Beim modernen Spinnen wird das Garn von unten nach oben auf den Stab gewickelt. Das bedeutet, dass das Garn auf der Wirtel aufliegt und die Wicklungsmenge nach oben hin schmaler zuläuft. Beispiel

Bei der mittelalterlichen Methode wird das Garn von der Mitte des Stabes aus gewickelt und ergibt so eine Kokon-ähnliche Form in der Mitte des Spindelstabes.

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Die mittelalterliche Methode das Garn aufzuwickeln. Die Spindel ist noch relativ leer. Der Faden der um den Wirtel läuft lässt sich so nicht belegen.

Dies geschieht, damit das Gewicht des Garns nicht auf den Wirtel drückt. Bei der modernen Spindel ist dies kein Problem, da der Wirtel fest verklebt ist und so nicht herunterfallen kann.

Der größte oder zumindest offensichtlichste Unterschied ist aber die Spinntechnik an sich. Beim modernen Spinnen ist das Spinnen direkt aus der Hand sehr beliebt. Das heißt, dass man den Kammzug in einer Hand hält. Mit der anderen Hand wird dann die Spindel angestupst, sodass sie sich dreht, gleichzeitig werden dann mit beiden Händen oben die Fasern ausgezogen. Sobald die Spindel aufhört sich zu drehen, stupst man sie wieder an und wiederholt den Vorgang.

 

Beim mittelalterlichen Spinnen zieht man die Wolle erstmal auf einen Rocken. Dazu gibt es verschiedene Techniken auf die ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen möchte. Vielleicht verfasse ich dazu später einen eigenen Blogpost.

Es gibt zweierlei Rocken, die man auf Abbildungen sieht, einen sogenannten Standrocken und einen Handrocken.

Der Standrocken steht wie der Name schon sagt auf einem Fuß auf dem Boden, der Handrocken ist mobil und kann mit sich herumgetragen werden. Meist wird dieser in den Gürtel gesteckt, damit man ihn leichter balaniceren kann. Man kann ihn aber auch zwischen die Knie klemmen oder irgendwo anders einklemmen. Mehr dazu findet ihr auch in Agnes Blogpost zum Thema Rocken.

Nun wird die Spindel in der einen Hand gehalten, die Hand bleibt permanent an der Spindel und dreht diese. Das heißt, man lässt die Spindel nicht tanzen, sondern dreht sie fortwährend.

Dabei gibt es nochmal zwei verschiedene Methoden, wie man die Spindel drehen kann. Zum einen hält man sie permanent zwischen Zeige- und Ringfinger und dreht sie zwischen diesen beiden Fingern mit dem Daumen.

Bei der anderen Methode – die ich lieber nutze – führt man den Faden über den Zeigefinger und lässt die Spindel am Faden über diesen hinunter hängen. Dann dreht man die Spindel permanent zwischen Mittelfinger und Daumen.

Die andere Hand kann nun gleichmässig am Rocken die Fasern ausziehen, ohne die andere Hand zur Hilfe zu benötigen. Weiterführende Erklärungen und weitere Bilder findet ihr in dem tollen Artikel von Via Nostra.

 

Diese Technik ist anfangs gewöhnungsbedürftig, funktioniert aber mit ein bisschen Übung doch schneller, da das Ausziehen nicht mehr unterbrochen werden muss um die Spindel neu anzustupsen.

 

Doch woher wissen wir, dass im Mittelalter so gesponnen wurde?

Auf (hoch- und spät-)mittelalterlichen Abbildungen sehen wir (fast) ausschließlich Spinnerinnen die diese Technik verwenden. Andere Abbildungen gibt es nicht. (Achtung: Ich rede hier nur von der Methode mit der Handspindel. Spindelräder sind eine Ausnahme auf die ich hier nicht eingehen möchte, da ich mich damit nicht auskenne.) Um euch einen Eindruck davon zu verschaffen habe ich hier ein paar Abbildungen von Spinnerinnen gesammelt.

 

Auf den Abbildungen sehen wir übrigens auch sehr häufig, dass die Frauen nicht im stillen Kämmerlein sitzen und spinnen, sondern das Spinnen „nebenher“ ausführen. So sieht man sie beim Tiere hüten, auf dem Markt oder bei der Kinderbetreuung. Dabei ist ein Rocken dann ganz besonders praktisch, denn wenn man einmal doch die Hände freihaben muss, kann man ihn ganz leicht beiseite stellen und die Wolle verfilzt nicht oder kann leicht auf den schmutzigen Boden fallen. Die Spindel kann man außerdem am Rocken festklemmen, sodass sie auch aus dem Weg ist. Außerdem kann man eine viel größere Menge Wolle auf den Rocken ziehen, wodurch man – wenn man geschickt genug arbeitet – seltener neu an den Faden ansetzen muss.

Ein weiterer Aspekt – auf den ich durch den interessanten Artikel von Via Nostra aufmerksam geworden bin – ist dieser, dass die Spindel nicht gerade vor einem „herunterfällt“, sondern man sie durch die Bewegung seitlich vom Rocken weg zieht. (siehe Bilder oben). Das heißt, die Spindel fällt nicht zwischen die Beine, sondern wird vom Körper weggeführt. Dadurch kann man 1. auch im Sitzen ein längeres Stück spinnen, 2. muss man sich nicht verdrehen, oder breitbeinig dasitzen, damit die Spindel nicht vom eigenen Rock gestoppt wird. Auch dies sieht man sehr gut auf den mittelalterlichen Abbildungen.

Abschließend möchte ich noch kurz über meine persönlichen Erfahrung mit dieser Technik sprechen.

Lange wollte mir das Spinnen vom Rocken nicht gelingen. Ich wusste nicht so recht wie ich die Spindel halten soll, wie der Rocken bezogen wird etc. pp. Der Faden wurde ungleichmäßig und riss oft ab.

Ich hatte aber im Sommer das große Glück die liebe Vroni Berenika auf einer Veranstaltung zu treffen, die mir die Technik live und in Farbe gezeigt hat. Und von da an ging es ganz schnell und nach ein paar Stunden üben hatte ich den Dreh am Rocken schon raus.

Deswegen möchte ich euch den Tipp geben, falls es mit dem selbst beibringen nicht klappt euch an eine kundige Darstellerin zu wenden. Falls ihr mal auf einer unserer Veranstaltungen vorbeischaut, dann bin ich natürlich auch gerne für euch da!

Weiterführende Literatur

  • Kleine Spindeltypologie – Universität Innsbruck
  • Spinnst Du? Na klar!: Geschichte, Technik und Bedeutung des Spinnens von der Handspindel über das Spinnrad bis zu den Spinnmaschinen der Industriellen Revolution – Ulrike Claßen-Büttner

  • Die verborgene Geschichte der Frauenarbeit. Eine Bildchronik – Anke Wolf-Graaf

  • Kleidung im Mittelalter: Materialien – Konstruktion – Nähtechnik. Ein Handbuch – Katrin Kania

 

8 Gedanken zu “Ich hab‘ den Dreh raus – Über das mittelalterliche Spinnen

  1. Aislinn von Hortus Lupi schreibt:

    Wieder einmal ein genialer blog. Spitzenmäßig recherchiert. Danke! Darf ich euch fragen, ob euch bei euren Recherchen auch etwas vom Frühmittelalter untergekommen ist?

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    • sororeshistoriae schreibt:

      Hallo Aislinn,

      Vielen lieben Dank für dein Lob! Leider habe ich mich mit dem Frühmittelalter noch nicht beschäftigt. Ich habe aber bei meiner Recherche auch eine Abbildung aus dem 10. Jahrhundert gesehen und ich habe gehört, dass es wohl einen Fund von einem Rockenstab aus dem Frühmittelalter geben soll, allerdings weiß ich nicht mehr in welchem Fundkomplex. Aber vielleicht hilft dir das ja trotzdem weiter.

      Liebe Grüße,
      Laura

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  2. Salka schreibt:

    Blöde Frage, weil ich auch auf Veranstaltungen spinne, und natürlich immer an Wissenserweiterung interessiert bin…
    Woher weiß man, dass die abgebildeten Rocken Wolle und kein Leinen darstellen?
    Denn soweit ich gelesen habe (ich habe noch kein Leinen selbst versponnen), benötigt man für Wolle eben keinen Rocken, weil man die Fasern einfach so aus der Hand ziehen kann. Leinenfasern müssen vorher aufwändig aufgewickelt werden, da sie sonst nicht gleichmäßig versponnen werden können, benötigen also zwingend den Rocken.
    Vielen Dank für die Aufklärung, ich lerne ja gern dazu 😉

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    • sororeshistoriae schreibt:

      Hallo Salka,

      Natürlich weiß man nicht, ob auf den Bildern Leinen oder Wolle versponnen wird. Ich schreibe in meinem Artikel meist von Wolle, da ich selber hauptsächlich Wolle verspinne, aber natürlich trifft das alles auch auf Leinen zu.
      Und es stimmt natürlich auch, dass man Wolle auch aus der Hand raus spinnen kann, wie wir es heute oft tun.
      Aber es gibt zwei wichtige Punkte, die für mich recht deutlich machen, dass es sowohl Leinen als auch Wolle betrifft:
      1. wie schon im Artikel erwähnt, ich kenne keine Abbildungen von Frauen im Mittelalter, die ohne Rocken spinnen.
      2. die Handhaltubg beim Spinnen mit Rocken ist wesentlich komfortabler wenn man sitzt und gleichzeitig einen langen Rock anhat. Denn wenn man aus der Hand heraus spinnt, fällt die Spindel gerade herunter. Deswegen wäre sie den Frauen im Mittelalter wohl immer in den Schoss gefallen, oder aber sie hätten sich seitlich verdrehen müssen, was auf Dauer sehr unkomfortabel wird.

      Und noch ein letzter Punkt ist hier wichtig: wir haben lediglich Indizien, die für das Spinnen mit dem Rocken sprechen. Daher halte ich es für sinnvoller, das auch so zu tun, da – abgesehen von den vielen Vorteilen, die ich in meinem Artikel aufgezählt habe – die andere Art zu spinnen gar nicht belegbar ist.

      Liebe Grüße
      Laura von Sorores Historiae

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      • Salka schreibt:

        Hallo Laura,

        ich gestehe, dass ich mich bisher nur sehr oberflächlich mit HoMi/SpäMi-Abbildungen auseinandergesetzt habe (mache bisher eine FrüMi-Darstellung und möchte jetzt eine neue spätere Darstellung aufbauen, bin aber noch ganz am Anfang) und mir aus dem kurzen Betrachten der Bilder und deiner Beschreibung nicht so richtig die Technik und die Vorteile erschließen konnte (hab es halt „modern“ gelernt, bisher ausschließlich im Stehen gesponnen und hatte das mit dem Rocken für Leinen noch im Hinterkopf). Jetzt hab ich mir auf larsdatter.com noch ein paar mehr Bilder genauer angesehen und muss dir Recht geben! Vom handwerklichen ausgehend ist es kurios, dass es wirklich nur Abbildungen mit Rocken geben soll, denn es geht ja auch ohne (abgesehen davon, dass Zeichner auch mal verallgemeinern oder Murks machen können, siehe diverse Abbildungen zum Brettchenweben…)
        Jetzt, nach genauerem Durchdenken, erkenne ich durchaus die Vorteile, die du angesprochen hast und werde es bei nächster Gelegenheit auch mal ausprobieren 😉
        Darum vielen Dank für den schönen Artikel und die Horizont-Erweiterung!

        Grüße, Salka

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  3. Marktstreunerin schreibt:

    Wie schön, noch jemand, der das mittelalterliche Rockenspinnen liebt. Ich spinne auch am liebsten inzwischen mit Rocken und auch ich bevorzuge die halb-hängende Drehweise. Und ich denke, aus den schon genannten praktischen Gründen wird auch Wolle auf dem Rocken gesteckt haben: er ist drecksicher und gut verstaut – Wind macht dann auch nix mehr. Alles schon getestet 😉
    Und ich finde es viel leichter, einen halbwegs gleichmäßigen Faden zu spinnen, wenn ich mich nur auf die linke, die Ausziehhand konzentrieren muss. Die Spindel dreht die rechte Hand schon automatisch.

    Zu Aislinn: ich vermute, das Rocken auch im Früh-Mi üblich waren, denn in der Antike gibt’s schon Bilder und Funde (auch wenn dort mehr der Handrocken beliebt gewesen zu sein scheint). Zum auf-dem-Weg-spinnen ist ein Rocken einfach zu praktisch, weil weder Wind noch Unterbrechungen dir die Faser verwirren können.

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