Einstieg leicht gemacht – Teil 5: Fehler, die man vermeiden sollte

Der Einstieg in eine historische Darstellung kann zuweilen verwirrend, schwer und unerreichbar scheinen. Das ist in Bezug auf manche Aspekte verständlich, aber eigentlich nicht nötig, denn – wir werden niemals müde, es zu betonen – mit Fleiß, Hingabe und Spaß am Hobby kann jeder eine gute historische Darstellung aufbauen. Nachdem wir uns auf diese spannenden Reise begeben haben, fallen uns bei anderen Einsteigern immer wieder Denkfehler auf, von denen auch wir in der Vergangenheit den ein oder anderen begangen haben. Damit euch diese Erfahrung und das damit verbundene Lehrgeld erspart bleiben, wollen wir sie euch heute zeigen und erklären, warum sie unbedingt zu vermeiden sind.

*Dieser Beitrag enthält unbezahlte & unverbindliche Werbung*

1. „Aber mein Freund hat doch gesagt…“ – Recherche ersparen

Es ist so verlockend angenehm: Freunde, die schon tiefer in der Materie drin sind, geben einem vor was man kaufen soll, wie die Kleider zu nähen sind, woher man Quellen beziehen kann. Eine Darstellung-to-go sozusagen. Es erspart so viel lästige Arbeit, die Sucherei und Recherche und überhaupt das ganz Rätseln und genaue hinschauen. Verlockend? Nein!
Beim Aufbau der historischen Darstellung ist eigene Arbeit, eigenes Lesen und eigenes Suchen unumgänglich. Natürlich muss man das Rad nicht neu erfinden und kann (sollte!) von der bereits erfolgten Arbeit anderer Darsteller und der Diskussion um eben diese Ergebnisse profitieren. Die Faustregel lautet: Beinahe jeden Fehler den ich machen kann hat schon ein anderer vor mir gemacht. Das bedeutet aber nicht, dass man eigene Arbeit vermeiden und ausschließlich auf die Aussagen anderer hören sollte.

Jede Interpretation ist eben das: Eine Interpretation. Selbst die erfahrensten und bekanntesten Gesichter der Szene mussten schon Aussagen revidieren und Auslegungen von Quellen überarbeiten. Verlasst euch niemals auf das, was andere sagen. Das lässt nicht nur enormen Spielraum für zahlreiche Fehler in der Darstellung, sondern nimmt auch eine der wichtigsten Erfahrungen, die man in diesem Hobby besitzen sollte. Damit meine ich die Fähigkeit, eigene Nachforschungen anzustellen. Wer sich stets auf das Wort eines anderen verlässt, nimmt sich selber die Chance auf eigenständiges Arbeiten.
Unsere Faustregel lautet: Literatur zur Orientierung in der Epoche/dem gewählten Jahrzehnt/der ausgewählten Darstellung, DANN Quellensuche und Recherche, DANN Rekonstruktionen herstellen.

Wie ihr einen Einstieg in das Dickicht der Recherche bekommt könnt ihr hier nachlesen.

2. „Die haben das so schön gemacht, so will ich das auch.“ – andere Gruppen nachahmen

Ja, es könnte so einfach sein. Die mühselige Recherchearbeit haben doch schon andere gemacht und bei vielen sieht das Ergebnis dann auch richtig toll aus. Aber Achtung, eine andere Gruppe zu kopieren sollte man tunlichst unterlassen. Warum?
Nun, der wichtigste Grund ist bereits oben aufgeführt. Man spart sich die Recherche, macht sich von anderen abhängig und lässt somit Platz für viele Fehler. Bloße Imitation bedeutet auch fehlendes Wissen über das, was man tut. Ein Outfit oder einen Stil zu kopieren hat zur Folge, dass man nicht weiß, woher die Vorlagen stammen, nach welchen Methoden Kleidung gefertigt wird und schließlich wie schlüssig die Rekonstruktion ist. Es führt kein Weg an Primärquellen vorbei.

Bei vielen Szene-Erscheinungen bemerkt man die inflationäre Nutzung gewisser Dinge, die die Quellen so nicht hergeben. Einige Fauxpas könnt ihr hier (Facebook-login erforderlich) bei den Kollegen von der IG 14. Jahrhundert sehen. Wie erklärt sich dieses Phänomen? Wir vermuten: Dinge die als hübsch befunden werden, werden ohne weitere Quellenrecherche kopiert (das hängt also eng mit Punkt 1 zusammen).

PS: Auch wir sind schuldig, schonmal hübsche Angewohnheiten ohne Nachforschung übernommen zu haben. Die Devise lautet dann allerdings: Nachforschen, Gebräuchlichkeit feststellen und ggf. aussortieren.

3.“Ich hab aber mal ein Bild gesehen, auf dem könnte man das so sehen…“ – Quellen auf den eigenen Wunsch zurechtschneiden oder schludrige Quellenauswertung

Die Frau auf dem Bild, dass ihr neulich auf Pinterest gesehen habt, trug eine Gürteltasche, deswegen habt ihr euch nun auch genau so eine an den Gürtel gehängt. Das gefiel euch schon immer so, und jetzt seid ihr froh, endlich eine Rechtfertigung dafür gefunden zu haben. Doch nun behauptet jemand, dass Frauen in eurem Darstellungszeitraum gar keine Gürteltaschen trugen. Dabei habt ihr es doch genau gesehen, und das Bild war auch noch genau aus eurem Darstellungszeitraum.

Nur leider sagt der Andere, dass es 1. gar keine Frau ist, sondern ein orientalischer Ritter, der durch seine exotische Darstellung auf den ersten Blick irgendwie weiblich wirkte das Bild 2. hundert Jahre früher datiert und 3. nichtmal aus Deutschland stammt. Mist, ertappt.

Gerade die Verfügbarkeit von Quellen online verleitet uns dazu nachlässig und schlampig zu recherchieren. Oft lohnt ein zweiter Blick bzw. das Nachprüfen der Quelle. Auf Pinterest zum Beispiel kann natürlich jeder schreiben was er möchte oder auch glaubt. Das führt aber auch dazu, dass eine große Menge der verfügbaren Bilder mit falschen Informationen versehen ist.

Eine gute Vorgehensweise ist es daher, die aufgeführten Quellen nochmal nachzuprüfen. Wenn eine Quellenangabe dabei steht, hilft es oft, einfach diese nochmal zu googeln. Meistens findet man dabei die Institution, welche die Originalquellen publizieren oder besitzen. Die Informationen auf diesen Seiten (z.B. die Datenbank der Universität Heidelberg) sind in der Regel wissenschaftlich erprobt und daher sehr verlässlich.

Weiterhin ist bei jeder Quelle, die man betrachtet sogenannte „Quellenkritik“ angebracht. Das heißt, das auf dem Bild gezeigte oder in der Literatur geschriebene sollte hinterfragt werden. In o.g. Beispiel also: Ist die Person, die die Gürteltasche trägt wirklich eine Frau? Und falls ja, hat es vielleicht eine besondere Bedeutung, dass sie diese trägt? Wie viele andere Abbildungen von Frauen mit Gürteltaschen kennt ihr? Keine? Dann ist es sehr wahrscheinlich, dass der Maler hier etwas bestimmtes über die Frau sagen wollte. Viele? Dann ist zu hinterfragen, ob hier vielleicht immer dieselbe Frau gezeigt wird (z.B. eine bestimmte Heilige) oder eine Frau in einer bestimmten Situation (z.B. Verführung durch den Teufel). Ist dies der Fall könnte die Gürteltasche auch hier eine bestimmte Bedeutung haben. Falls dies so ist, ist es dann hilfreich den Kontext des Bildes zu hinterfragen. Wer wird dargestellt? Was wird dargestellt? Warum wird es so dargestellt? Und wenn wir diese Informationen alle haben, erst dann können wir Rückschlüsse darauf ziehen, ob Frauen nun Gürteltaschen trugen oder nicht.

(Kleiner Hinweis: Das Beispiel mit den Gürteltaschen ist frei erfunden, wir kennen keine Heilige o.ä. die mit Gürteltaschen dargestellt wird. 🙂 )

4. „Was, 30 Euro für einen Meter Wollstoff?“ – an der falschen Stelle sparen

Über 30 Euro für einen Meter Wollstoff? 200 Euro für ein paar wendegenähte Schuhe? 25 Euro für einen Fürspan nach Vorlage? Das geht doch bestimmt billiger, oder?

Die Faustregel lautet: Günstig, schnell, hochwertig – man kann immer nur 2 Dinge bekommen.

Günstig und schnell: Die Kombination von günstig und schnell bedeutet meistens, dass das Ergebnis nicht besonders hochwertig ist. Natürlich ist der Griff zu einschlägigen Shops bequem, alles wird zügig geliefert und das auch noch für kleines Geld – doch das hat seinen Preis (Wortspiel). Denn günstig bedeutet: I.d.R. Baumwolle statt Wolle und Leinen, Pressblech statt Messing, Bronze oder gar Silber/Gold, Maschine statt Handnaht, Mittelalterambiente statt historischer Rekonstruktion.

Schnell und hochwertig: Eine (verhältnismäßig) schnelle und hochwertige Ausstattung zu kaufen, bedeutet die andere Art von Shop zu beauftragen, also solche, die von Schneider*innen oder anderen ausgebildeten Handwerker*innen geführt werden. Dort sind zwar Wartezeiten einzurechnen, doch die sind oftmals kürzer als die gleiche Arbeit zuhause zu leisten. Das Problem: Schnelle und hochwertige Arbeit will bezahlt sein. Diese Variante ist also alles andere als günstig.

Hochwertig und günstig: Mein persönlicher Favorit. Wer Wert auf bezahlbare und hochwertige Arbeit legt, der packt am besten selber mit an. Natürlich kann nicht jeder alles selber herstellen und oft mag der Gedanke an die Herstellung einer ganzen Ausrüstung erschreckend wirken. Doch wie mit allen Problemen des Lebens, sind diese oft gar nicht so unüberwindbar, wie sie anfangs scheinen. Ausprobieren lautet hier die Devise.
Und ganz nebenbei bemerkt: Die Mode des 13. Jahrhunderts ist in ihrer Formgebung recht simpel, nicht figurbetont und somit besonders einsteigerfreundlich.

5. „Das muss bis nächste Woche fertig sein, aber ich hab noch gar nicht angefangen“ – unsauber arbeiten, zu schnell zu viel wollen und überstürzen

Ein wesentlicher Aspekt unseres Hobbys ist konstantes arbeiten und recherchieren. Das klingt jetzt erstmal furchtbar anstrengend und abschreckend, aber eigentlich ist es da nicht.

Das schöne am Reenactment ist doch eigentlich, dass man diesem Hobby jeden Tag und beinahe überall frönen kann: Auf dem Weg zur Arbeit ein paar Seiten lesen (bitte nur, wenn ihr nicht selber ein Auto steuern müsst 😉 ), im Bus eine Naht versäubern, abends vor dem Fernseher noch schnell den Stickrahmen oder die Spindel rausholen und nebenher ein wenig Handarbeiten. Das macht nicht nur Spaß, sondern bringt einen auch erstaunlich effektiv in seiner Darstellung voran.

Und genau das ist ein wesentlicher Knackpunkt: Eine Darstellung muss konstant erarbeitet werden. Das beginnt bei Quellen- und Literatursuche, sinnvoller Auswertung des gesehenen/gelesenen über Materialbeschaffung, Aneignung der handwerklichen Fähigkeiten und endet schließlich in Belebungen oder ähnlichen Veranstaltungen, in denen die Arbeit präsentiert werden kann. Beginnt man mit der Arbeit erst kurz vor den Veranstaltungen, dann endet das in der Regel entweder darin, dass die Punkte 1-3 angewendet werden und/oder die hektisch herbeigeschafften Ausrüstungsteile von minderer Qualität aka. „hingeschlampt“ sind.

6. Die falsche Motivation

Dieser letzte Punkt ist wohl derjenige, an dem sich nur schwer arbeiten lässt. Eine Sache ist klar: Um Living History wirklich ausüben zu wollen, muss die Motivation stimmen. Das heißt, so gut man nur kann das Leben wie vor 600/700/800… Jahren nachzustellen und dabei auf moderne Kompromisse (medizinisch und hygienisch vielleicht einmal ausgenommen) zu verzichten. Was hingegen wichtig ist, sind zwei Punkte.

  1. Wir betreiben Living History nicht, um die coolsten Zampanos der Szene zu sein und von einem Thron aus auf die anderen herabzublicken. Nein, die Motivation ist, das Mittelalter zu erleben und dieses Erlebnis auch durchzuziehen. Wie haben unsere Vorfahren gelebt und den Alltag gemeistert? Diese Frage soll durch das Erlebnis beantwortet werden.
  2. Reenactor, bzw. Darsteller der lebendigen Geschichte zu sein ist kein Prestigetitel. Wer sich als solcher nur bezeichnen möchte, um sich von durchschnittlichen Marktbesucher abzusetzen, dabei jedoch nicht tiefer in die Geschichte eindringt als sich etwas dürftiges Wissen über die Kleidung anzueignen, der verfolgt die falschen Ziele. Das führt zurück zu Punkt 1: „Wir betreiben Living History nicht, um…“

Für alle, für die Punkte 1–6 nicht ansprechend klingen ist Living History vielleicht einfach nicht das richtige Hobby. Aber das ist keine Schande, denn dieses Hobby ist genau wie alle anderen Hobbys – entweder es macht Spaß oder nicht. Und wenn es keinen Spaß macht, dann ist es für euch nicht das richtige Hobby.

 

– Ann

 

Bildnachweis: Macieowski Bibel, Frankreich um 1250.

6 Gedanken zu “Einstieg leicht gemacht – Teil 5: Fehler, die man vermeiden sollte

  1. Martin Knoch schreibt:

    schon die Verwendung von Buchstaben in einem Schild ist ein gravierender Fehler bei der IG 14Jhd.da im 14 Jahrhundert nur einige Mönche und nur wenige Andere lesen konnten sind Wappen ausdrücklich rein bildlich darzustellen.

    Like

    • sororeshistoriae schreibt:

      Ich nehme an, dass du dich hier auf das Logo der IG 14. beziehst. Und deswegen ist dies auch kein Fehler, da dass Logo kein Wappen ist, sondern eben ein Logo, was etwas modernes ist. In unserem Logo wird ja auch Schrift verwendet, einfach weil heute die Leute eben lesen können. Wenn wir gar nichts machen könnten, was die Leute damals nicht gemacht haben, dann dürften wir auch keine Blog und keine Facebook Seite machen. Das ist aber nicht Teil der Darstellung, sondern Teil unseres modernen Lebens und von daher kein Problem.

      Like

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.